Impuls: Alles zu seiner Zeit

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Alles zu seiner Zeit

„Ich freue mich schon so auf den Winter und auf Weihnachten!“, sagte meine jüngste Tochter im letzten Sommerurlaub. Dabei hatte sie ein gutes halbes Jahr zuvor noch sehnsüchtig geseufzt: „Ach, ich wünschte, es wäre wieder Sommer …“ Ein bisschen scheint es wohl in uns Menschen angelegt zu sein, unseren Blick von dem, was gerade ist, weg und auf das hin zu richten, was wir erst noch erwarten.
Aber … da das Warten oft schwer fällt, sind wir nicht selten in der Versuchung, das Er-Wartete, das Kommende schon einmal vorwegzunehmen. Das kennen wir nur zu gut: Es gibt Lebkuchen im September und Erdbeeren im Dezember, die Weihnachtsbäume werden allerorten im Advent aufgestellt und die festliche Dekoration wird gleich nach dem 26. Dezember wieder entsorgt, Primeln sieht man schon ab Jahresbeginn in den Supermärkten und Ostereier kurz nach Fasching. Wir eilen den Zeiten und Festen voraus und lassen zu, dass unser Leben zeitlich immer mehr aus den Fugen gerät …
Der alttestamentliche Weisheitslehrer Kohelet erinnert uns dagegen an eine ganz und gar grundlegende Wahrheit: „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen gibt es unter dem Himmel eine bestimmte Zeit.“ (Koh 3,1) Ja, es gibt Rhythmen, die sinnvoll und nicht beliebig sind: Wir sind eingebunden in die Natur mit ihrem Wechsel der Jahreszeiten, mit ihren Phasen des Werdens und Vergehens. Darin eingebettet durchleben wir das Kirchenjahr, in dem alle Feste jährlich wiederkehren und zu ihrer Zeit gefeiert werden. Und innerhalb dieses Rahmens gibt die Sieben-Tage-Woche – nach biblischer Überlieferung ein Geschenk des Schöpfergottes an uns – unserem Leben Struktur.
Wir brauchen solche Rhythmen und Strukturen, um nicht in Atemlosigkeit durch das Leben zu hecheln. Erst im bewussten Durchleben einer jeden Zeit kann sich Wachstum und Reifung vollziehen. Daher sollte es uns darum gehen, nicht schneller zu leben, sondern gegenwärtiger. Vielleicht kann das ein Vorsatz sein für die vor uns liegende Herbst- und Winter-, Advents- und Weihnachtszeit: Das, was gerade „dran“ ist, intensiv zu leben – alles zu seiner Zeit. Dann können wir vielleicht erspüren, dass Gott, wie Kohelet weiter schreibt, „die Ewigkeit in alles hineingelegt“ hat (Koh 3,11).

Helga Melzer-Keller

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