Vater unser

Kommentar von Thomas Reuter

In den letzten Tagen konnte man der Presse entnehmen, dass Papst Franziskus die Formulierung „Und führe uns nicht in Versuchung“ im deutschen Vaterunser für unglücklich hält: Gott führt niemanden in Versuchung.

Wo er recht hat, hat er recht.

Die Katholische Kirche Frankreichs betet das Vaterunser seit dem 1. Advent 2017 deswegen jetzt mit Und lass uns nicht in die Versuchung eintreten. Müssen wir das im Deutschen jetzt auch ändern?

Ich weiß, dass ich mich als Jugendlicher auch schon immer über diesen Satz gewundert habe, und ein Jesuit, mit dem ich befreundet war, erklärte mir, dass es heißen müsse: und führe uns in der Versuchung. Also man bitte darum, dass Gott bei einem bleibt, wenn man in Versuchung geraten ist.

Aber der aramäische Urtext und die griechische Übersetzung meinen es etwas anders, sie setzen sozusagen noch vor der Versuchung an, nicht erst, wenn man schon drinsteckt. Für Jesus, der die Jünger gelehrt hat, das Vaterunser so zu beten, ist es völlig undenkbar, dass Gott einen Menschen in Versuchung führen würde. Aber Jesus weiß natürlich, wie leicht Menschen in Versuchung geraten: Also etwas zu tun, durch das ihre Seele Schaden nimmt – und wodurch sie sich wieder und wieder von Gott entfernen. Und wie schwer es ist, einer Versuchung auszuweichen, weil man sie oftmals ja auch anfangs gar nicht als solche erkennt. Und um wieviel schwerer es ist, sich die Folgen einer Versuchung einzugestehen, zuzugeben, dass man es selbst war, der es so gewollt hat – niemand sonst1Erinnern Sie sich an Nick Leeson, der Anfang der 90er Jahre die britische Barents’s Bank mit riskanten Spekulationen in den Ruin getrieben hat? Der ist ganz gewiß nicht eines Morgens aufgestanden und hat gesagt: heute mach ich meine Bank pleite. Er hatte nur einen unachtsamen Fehler gemacht, 60.000 Pfund waren es, die er mal bis auf den nächsten Tag „versteckt“ hat. Aber am nächsten Tag hat’s leider auch nicht geklappt – und irgendwann waren es 20 Million Pfund, die er vertuschen musste. Und die konnte er tatsächlich durch einen mit hohem Risiko, aber auch hohem Gewinn behafteten Handel irgendwann mal glattstellen: genau zu diesem Zeitpunkt hätte er durchatmen, aussteigen und aufhören können. Aber da hatte er schon ein richtig gutes Rezept, wie man die Sicherheitsmechanismen von Banken & Börsen austricksen konnte – und es war ja auch nichts passiert, er hatte es ja geschafft! Also machte er weiter – und am Schluss waren es 800 Millionen Euro, für die die Bank keine Deckungsreserven hatte: das war die Pleite. Am Anfang war das kaum der Rede wert: es hätte nur gemeldet werden müssen. Aber das hat er nicht getan, weil er sich selbst nicht eingestehen wollte, dass er, der von allen gefeierte Rockstar der Börse in Singapur, Fehler machen konnte..

Der Beter des Vaterunser glaubt also nicht, dass Gott ihn in Versuchung führt, aber er weiß ganz sicher, dass er ohne Gottes Hilfe in Versuchung geraten kann. So bittet er Gott, ihn vor Versuchungen zu schützen, am besten von vornherein lieber gar nicht erst hineinzugeraten.

Wenn man es so sieht, dann müßte man diese Stelle mit „und lass uns nicht in Versuchung geraten“ übersetzen, ähnlich, wie es die Franzosen beschlossen haben. Ja, warum nicht: die Generationen ändern immer mal was. Zu meinen Lebzeiten wurde erlöse uns von dem Übel in erlöse uns von dem Bösen geändert. Auch den Nachsatz Denn dein ist das Reich … gab es früher nicht – heute gibt es kein Vaterunser ohne ihn. Denn nun können wir mit den Evangelischen unser gemeinsames Grundgebet sprechen, ohne früher fertig zu sein als sie.

Nun: Ob es geändert wird, wird sich zeigen. Bis dahin muss man halt einfach wissen, wie es gemeint ist.

Vater unser