Außen und Innen

Notre Dame Bild: Urban Führes

Außen und Innen – Gedanken zu Fronleichnam 2018

Über Pfingsten war ich mit meiner Familie in Paris. Natürlich auch in Notre Dame, in diesem großen gotischen Dom, der über viele Jahrhunderte gebaut wurde, in dem Napoleon zum Kaiser gekrönt wurde, der Schauplatz war für die Romanverfilmung mit dem Glöckner Quasimodo.

Aber zuerst ist Notre-Dame ein Gotteshaus, eine Kirche. Ich habe dort den Pfingstgottesdienst mitgefeiert. Ein erhebendes Gefühl, wenn die tiefen Glocken den Platz und die Straßen rund um die Kirche erfüllen. Von innen ertönen die letzten Orgelklänge der Frühmesse. Dann betritt man durch das Portal den Innenraum, eine fast mystische Atmosphäre mit gedämpftem Licht, dieser unerwarteten Höhe, den bunten und leuchtenden Glasfenstern.

Bei diesem Gang von außen nach innen ist mir ein Bild wieder eingefallen, eigentlich ein Vergleich, den ich bei Eugen Biser gelesen habe. Der Theologe Eugen Biser wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden.
Für Biser ist dieses Gehen durch das Portal eines gotischen Domes ein Bild für eine Glaubenswende, eine Entwicklung vom äußeren Glauben zum Eintritt in den Glaubensinnenraum. Vom Gegenstandsglauben in den Erfahrungsglauben. Die Fassade, gewaltig hoch, steinern, ist vergleichbar mit den Dogmen und Geboten, dies ist zu tun, jenes ist zu glauben. Sie ist schön anzuschauen, geschmückt mit Motiven der Heilsgeschichte. Diese großen Steinquader sind gewiss notwendig, um das ganze Gebäude zusammenzuhalten, um nach außen zu wirken.

Aber die Fassade ist ja nicht das Eigentliche. Das Portal weist den Weg nach Innen. Und dann ist es, wie es jeder erleben kann, der so eine Kirche betritt: Die Farbenfülle der Glasfenster zeigt wieder Szenen aus der Heilsgeschichte, aber diesmal nicht steinern wie außen, sondern leuchtend und anziehend. Im Zentrum die Fensterrose mit ihrer leuchtenden Mitte. Jetzt erscheint die Glaubenswelt nicht mehr als ein Gegenüber, sondern ich bin mitten drin, persönlich berührt, ich bin einbezogen in die göttliche Wirklichkeit.

Was hat dieses Bild vom Durchschreiten der äußeren Fassade in den Glaubensinnenraum mit unserem heutigen Fronleichnamsfest zu tun? Es geht um Innen und Außen, und das gleich in mehrfacher Hinsicht: Nur heute an diesem Tag gehen wir noch ein zweites Mal von außen nach innen, wenn wir nach der Prozession hier wieder einziehen. Und heute feiern wir, dass wir in der Eucharistie dieses Brot, diese Christuswirklichkeit in uns aufnehmen. Von außen nach innen. Das hat Auswirkungen: „Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“, heißt es im Johannesevangelium.

Und auch Nikodemus, von dem wir im Evangelium gehört haben, hatte dieses Gespür, dass es mit der Äußerlichkeit nicht ausreicht: er war festgefahren in seiner gesetzestreuen Religiosität. Aber er ahnte, dass es mehr geben muss, dass dieser Jesus ihm einen Weg zeigen kann, in den Glaubensinnenraum zu kommen. Ein Weg zu mehr Tiefe: Du musst wiedergeboren werde, aber nicht durch eine zweite Geburt wie zu Beginn unseres Lebens, jetzt ist die Zeit für eine geistige Neugeburt, die bewegt und verwandelt. Was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. „Geist ist Schwingung, wie der Wind, der weht, wo er will. Mit dieser göttlichen Dynamik in Resonanz zu kommen – darum geht es im geistlichen Leben“ (Painadath).

Nikodemus war Suchender auf diesem Weg. Und auch wir können in Jesus Christus das der Welt zugewandte Gesicht Gottes erkennen. „Im Licht des Glaubens an Christus erkennen wir, dass die Neu-Schaffung, diese Wiedergeburt, diese Dynamik ständig in uns geschieht, ob wir es wahrnehmen oder nicht“ (Painadath). Wir können das nicht machen, wir können nur offen sein für diese Erfahrung.

Wir wissen nicht, was Nikodemus aus der Begegnung und aus der Zusage Jesu gemacht hat, das Evangelium lässt das offen. Aber was es für uns heißen kann, das Portal der Äußerlichkeiten zu durchschreiten und in den Innenraum zu kommen, finden wir immer wieder an vielen Stellen in der Bibel: wir gelangen zu einem Punkt, wo deutlich wird, dass wir als Bild Gottes geschaffen sind, dass in uns dieser göttliche Funke glüht und zum Leuchten kommen will. Immer wieder gibt es in der Bibel Vergleiche mit den Elementen: Die Luft, das Feuer, das Wasser – Vergleiche mit den Urerfahrungen der Menschen. Augustinus formuliert es so: „Eile zur Quelle, die Gott ist.“

Die Innere Quelle, diese göttliche Dimension in uns. Christen haben Zugang dazu durch Jesus Christus. Jesus selbst sagt es anderer Stelle im Johannesevangelium: „Wer aus mir trinkt, aus dem werden Ströme lebendigen Wassers fließen“. Ströme lebendigen Wassers – was für ein Bild! Da ist Bewegung drin, nicht ein träges, trübes Rinnsal: Ich stelle mir da einen Gebirgsbach vor, wie er strömt, wie kalt und frisch und klar dieses lebendige Wasser fließt. Da wird auch mal was mitgerissen, ein morscher Baum, dessen Zeit vorbei ist, und es entsteht Neues, eine Kiesbank, zuerst schaut alles kahl und leblos aus, doch schon kurz drauf blüht und grünt es und es entsteht neues Leben.

Wenn wir uns auf diesen Weg einlassen, merken wir mehr und mehr, dass Gott nicht eine statische, gegenständliche Gestalt ist, sondern wie eine aus sich heraussprudelnde Quelle der Liebe.
Wie wirkt sich das aus, diese Gotteserfahrung in uns? Der indische Jesuit Sebastian Painadath nennt vier Auswirkungen auf unseren Umgang mit Menschen und Dingen:
Achtsamkeit: sich der Gegenwart bewusst werden, das eigene Ich nicht so stark in den Mittelpunkt stellen, spüren, was der Geist in Bewegung bringen will.
Innere Freiheit: Wenn der Geist der innere Antrieb ist, bin ich weniger abhängig von Habenwollen. „Das Leben eines Menschen hängt nicht von seinem Vermögen ab, mag es noch so groß sein“ sagt Jesus im Lukasevangelium.
Verbundenheit: Die gesamte Schöpfung und wir selbst sind Teil dieser göttlichen Wirkung und Bewegung. Respekt für alle Dinge und Menschen. „Alle Dinge werden lauter Gott“ sagt Meister Eckhart.
Barmherzigkeit: Die Barmherzigkeit können wir nicht erzeugen. Der göttliche Liebesstrom fließt durch unser Herz. Wir können ihn nur zulassen.

Innen und außen. Ist das nicht nur ein Schönwetterglauben? Wenn es uns gut geht und die Sonne scheint lässt sich leicht reden. Wenn aber Enttäuschungen und Not uns belasten, ist es dann nicht ganz anders?
Ich kann da nicht wirklich aus eigener Erfahrung sprechen, aber dieser Satz von Alfred Delp, kurz vor seiner Ermordung im KZ-Gefängnis gibt mir immer wieder einen Hinweis, dass dieses Leben aus dem Glaubensinnenraum weiter trägt: „Die Welt ist Gottes so voll“, sagt Delp, „aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen.“ Auch die Emmausjünger machen tief verborgen diese Erfahrung. In ihrer größten Enttäuschung, in ihrer Niedergeschlagenheit, in der Erfahrung des Todes ihrer größten Hoffnung merken sie rückwirkend: brannte es nicht wie ein Feuer in unserem Herz?

Liebe Gemeinde, wir haben keinen Dom wie Notre-Dame. Und doch möchte ich Sie einladen, wenn wir nachher in die Kirche zurückkommen, dieses Bild mitzunehmen: Von der Fassade des Glaubens in den Innenraum einzutreten, in unseren Wesenskern, wo Gott schon immer gegenwärtig ist. Und offen zu werden für diese Dimension.

Mit dem Benediktinerpater Bede Griffiths möchte ich schließen. Er sagt: „Nun ist die Zeit reif, sich nach innen zu wenden, das innere Universum im Herzen erforschen zu lernen und die lange und aufregende Reise in das Zentrum zu beginnen. Damit verglichen ist die Erkundung des Mondes und der Planeten ein Kinderspiel.“

Urban Führes, 31.5.2018

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