Corona – Wurde die Auszeit genutzt?
Die beiden großen kirchlichen Feste Ostern mit der vorgelagerten Fastenzeit und Pfingsten bilden eine große Klammer um den Lockdown in der Zeit des Coronavirus. Am 16. März wurde das öffentliche Leben heruntergefahren, Anfang Mai gab es Zug um Zug Lockerungen und auch öffentliche Gottesdienste wurden wieder erlaubt.
Was ist in der katholischen Kirche geschehen in dieser Zeit? Nach anfänglicher, verständlicher Unsicherheit, wie mit dieser Situation umzugehen sei, gab es Stück für Stück neue Ideen für eine Online-Seelsorge über das Internet und neue Formen der Gemeindebindung: Impulse, Gottesdienstübertragungen, Flyer, Anrufe und vieles mehr.
Aber wurde die Zeit der Ruhe, der ausgefallenen Termine und des durchaus positiv besetzten Rückzugs auch genutzt, um über die Pfarreiebene hinaus gesamtkirchlich nachzudenken, wie es nach der Pandemie weitergehen könnte? Von Seiten der katholischen Bischöfe blieb es da erstaunlich leise. Es war z.B. keine öffentliche geistige Auslegung der Rechtfertigung Gottes (Theodizee) in dieser Zeit zu lesen. Denn die Frage stellt sich ja weiterhin: Hat Gott dieses Virus zur Strafe (für was?) geschickt und wäre er dann noch der liebende Gott der Verkündigung, der zehntausende Tote in Kauf nimmt, um an den Überlebenden seine Größe zu beweisen? Oder ist unser Gott in der Lage, diese Pandemie zu beenden, wofür vielfach gebetet wurde? Wenn er es könnte und tut es doch nicht, dann wird es schwierig, den Satz aus dem Johannesbrief: „Gott ist die Liebe“ ohne Einschränkungen zu unterschreiben. Noch schwieriger wird es, wenn die Nichterfüllung der Gebetsbitten von den Theologen damit begründet wird, Gott wisse schon, wozu das gut sei: „Mehr noch als das Leid der Welt ist dies der Fels des Atheismus“, schreibt Johannes Röser dazu in Christ in der Gegenwart. Man hätte betonen können, dass es „zu einem christlichen Realismus gehört, die Welt und ihre (…) Evolution, voller Schönheit, aber auch voller Katastrophen, Tragik und Unvollkommenheit, anzunehmen und zu sehen, wie sie ist: In Geburtswehen, die uns allerdings anregen, mit dem Schöpfer zusammenzuarbeiten“, wie Röser weiter schreibt.
Von den Kirchenleitungen war also wenig Geistiges zu hören, was über den allgemeinen Tenor der Dankeshymnen für systemrelevante Berufe hinausging. Die Frage nach Gott wurde nicht gestellt.
Dabei hatte der tschechische Religionsphilosoph Tomas Halik zu Ostern in einem bemerkenswerten Aufsatz einen Anstoß gegeben und die Folgen der Pandemie für Glauben und Kirche analysiert und zu bedenken gegeben, ob z.B. die Zeit der leeren Kirchen „nicht einen warnenden Blick durch das Fernrohr in eine verhältnismäßig nahe Zukunft darstellt? (…) Vielleicht zeigt diese Zeit der leeren Kirchen den Kirchen symbolisch ihre verborgene Leere und eine mögliche Zukunft auf, die eintreten könnte, wenn die Kirchen nicht ernsthaft versuchen, der Welt eine ganz andere Gestalt des Christentums zu präsentieren.“
Ein Christentum, das hinausgeht, dorthin wo die Menschen mit ihren Fragen, Nöten und Sorgen in dieser Krise leben. „Christus ist nicht hier, er ist auferstanden, er geht euch voraus nach Galiläa“, diesen Satz haben die Jüngerinnen am Ostermorgen gehört. Halik regt an darüber zu meditieren: „Wo ist dieses Galiläa von heute, wo können wir dem lebendigen Christus begegnen?“
Ein Christentum, das sich nicht, wie die Jünger am Pfingsttag, ängstlich hinter geschlossenen Türen verbirgt, sondern zulässt, dass der Heilige Geist diese Türen aufstößt und als Atem Gottes aufrüttelt, in Bewegung bringt und begeistert. Gerade weil Pfingsten in die Zeit der ersten Lockerungen gefallen ist, wäre dies ein großes Symbol gewesen.
Themenfelder gibt es viele: Wir ahnen, dass unser Wirtschaftssystem, das nach zwei Monaten Zwangspause an den Rand des Kollapses kommt, auf Dauer nicht geeignet ist, ein Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie zu schaffen, weil es auf einem endlichen Planeten auf einem ständigen Wachstum basiert und ein kleiner Teil der Menschheit auf Kosten der Menschen in vielen Teilen der Welt lebt. Mir geht in diesem Zusammenhang das Bild der indischen Wanderarbeiter nicht aus dem Kopf, die ohne Perspektive mit ihren Habseligkeiten in ihre Dörfer geflohen sind. Wurde noch vor Corona der Konsumverzicht als geeignetes Mittel angesehen, den Klimawandel aufzuhalten, wird jetzt mit Steuererleichterungen gerade das Gegenteil gefördert. Lösungsansätze sind in der Umweltenzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus zu finden. Einen christlich fundierten Diskussionsbeitrag zu diesem Thema gab es aber von den Kirchenleitungen dazu bisher nicht. Von dort wird gern darauf verwiesen, Kirche werde ja vor Ort gelebt. Aber wäre ein Vorschlag, wenn es denn wieder erlaubt ist, ein Pfarrfest in St. Johannes vor diesem Hintergrund mit rein vegetarischem Essen als Beitrag zum Klimaschutz und Tierwohl durchzuführen nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt?
Und innerkirchlich: Die huldvolle Aussetzung der Sonntagspflicht von Seiten der Bischöfe war angesichts der sinkenden Gottesdienstbesucher zumindest realitätsfern. Kirchenamtliche Vorschriften eines überkommenen Ideals helfen nicht weiter. Die vielen Regalmeter Literatur über notwendige Reformen und Veränderungen innerhalb der Kirche als in Wort gefasste Äußerungen des Heiligen Geistes zu begreifen, anstatt ängstlich diesen Geist aussperren zu wollen, wäre ein pfingstliches Zeichen gewesen nach einer Zeit des Rückzugs und des Nachdenkens.
Hinausgehen nach „Galiläa“ ist an der Tagesordnung und sollte sich auch sprachlich bemerkbar machen und somit „Gott, Christus, Auferstehung, Reich Gottes für moderne, aufgeklärte Menschen wieder plausibel machen, ein zeitgemäßes Bewusstsein für Sakramente und Sakralität schaffen (…) ohne die Rückstände eines naturwissenschaftlich obsolet gewordenen Wunderglaubens vergangener Zeiten“ wie es Johannes Röser in Christ in der Gegenwart fordert.
Einen solchen Ansatz verfolgt auch Richard Rohr in Alles trägt den einen Namen mit der Frage, ob Christus nicht mehr ist als der Nachname von Jesus, nämlich der Name für die transzendente Wirklichkeit in allen Dingen, ein anderer Name für alles in seiner ganzen Fülle. Der Name „Christus“ als lebensverwandelnde Wahrheit für alle Menschen.
Die Mystikerin Mechthild von Magdeburg hatte es im 13. Jahrhundert verstanden, wenn sie sagte: „Der Tag meines geistigen Erwachens war der Tag, als ich sah und wusste, dass ich alle Dinge in Gott sah und Gott in allen Dingen.“
Urban Führes
11.6.2020
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