Kirchenmusik

Soli deo gloria – Die Kirchenmusik

Können Sie sich in Deutschland irgendeine Vereinigung vorstellen, bei deren Zusammenkünften gesungen wird?

Also richtig gesungen, nicht gegrölt. Eine Partei, einen Verein, eine Firma, einen Club? So mit richtig guten Melodien und guten Texten, über die sich das Nachdenken lohnt? Und wo auch jeder mitsingen kann und darf, ganz unabhängig von seinen sanglichen Fähigkeiten?

Singen ist menschlich

Das Singen ist eine menschliche Verhaltensweise, mit der man es schafft, sich kurze Auszeiten zu nehmen und ganz bei sich selbst zu sein. Zu den ältesten Zeugnissen dessen gehören die Psalmen, die König David zugeschrieben werden. David war ein Spielmann Gottes, bei weitem nicht fehlerfrei, aber er schaffte es, sich in seinen Liedern wenigstens für kurze Zeit frei zu machen von irdischer Banalität. Er sang einfach, vielleicht gab ihm das Kraft, den Alltag zu bestehen und den Anforderungen gerecht zu werden.

Wenn man unser Singen während des Gottesdienstes unter diesem Aspekt sieht, dann macht das wirklich Sinn. Sich frei machen von den Alltäglichkeiten, kurz in eine ganz andere Art der Kommunikation eintauchen, sich völlig anders ausdrücken: das ist wohl eine angemessene Art, Gott gegenüber zu treten.

Das Ziel der Kirchenmusik ist das Lob Gottes

Man kann deswegen im Gottesdienst nicht “irgendwie” singen und “irgendeine” Musik machen: man muss sich bewusst sein, dass es hier nicht um das Singen oder das Musizieren, nicht um die Sänger oder die Musiker geht, sondern um die ganz bewusste Teilnahme an einer Gemeinschaft, einem Eins-Sein mit Gott, das nicht gestört werden soll. Wenn einzelne Sänger sich hervortun oder einzelne Musiker dort eine Bühne suchen, ist diese Gemeinschaft schnell dahin: dann gibt es Differenzen in der Beziehung untereinander und mit Gott. Natürlich muss es einen Kirchenmusiker geben, der das Zeichen zum Beginn des Singens gibt und sogar versuchen kann, durch besonders aufmerksames Spiel dem gesungenen Text mehr Spiritualität zu geben. Aber die Gemeinde singt nicht für ihn, sondern er spielt mit der Gemeinde zusammen zum Lobe Gottes. Auch der Priester ist ja nicht Ziel des Gebets der Gläubigen, sondern der “fachliche Leiter”, der dafür sorgt, dass der Ritus insgesamt würdig bleibt und für niemanden zur Bühne der Selbstdarstellung wird.

Aus diesem Grunde gibt es die “Kirchenmusik” und die “weltliche Musik”, und zwar mengenmäßig ungefähr zu gleichen Teilen. Kirchenmusik ist keine Bühne der Selbstdarstellung: sie ist geschaffen “soli deo gloria” – Gott allein zur Ehre. Das hat Johann Sebastian Bach (der ja eher zufällig Kirchenmusiker war, denn er hätte viel lieber an den Fleischtöpfen der höfischen Musik gesessen als an den Sauerkrauttöpfen der Thomaskirche in Leipzig) unter jede seiner Kantaten-Kompositionen geschrieben.

Die weltliche Musik bleibt auf der menschlichen Ebene – was nicht schlechter ist, aber anders.

Thomas Reuter, November 2013